In unserer diesjährigen Qindie-Gruselanthologie dreht sich alles um das Thema »Hotel«. Bist du mutig genug für den Check-In? Dich erwarten 13 Kurzgeschichten über verwunschene Zimmer, mörderische Angestellte und unheimliche Gäste. Als kleinen Vorgeschmack kannst du hier den Anfang meiner Geschichte »Pension Pilz« lesen.
An dem Abend, als ich der Pilzners Edith endlich meine Kündigung in die Hand drücken wollte, kam kurz vor Mitternacht noch ein Gast in die Stube, stellte seine ausgebeulte Reisetasche neben dem Schirmständer ab und setzte sich wortlos an den Tisch bei der Garderobe.
»Bernd«, keifte die Edith quer durch den Schankraum. »Bernd, Kundschaft!«
»Mach mal du, Mutter«, lallte der Bernd, der mit den Schafkopf-Herren am Stammtisch hockte und schon sein drittes Bier intus hatte.
Außer uns war niemand mehr da und der Edith passte es gar nicht, um diese Uhrzeit noch ein hungriges Maul zu stopfen – das sah ich daran, wie sie den Wischlappen in die Ecke pfefferte und mit ungewaschenen Händen rüber zum Garderobentisch watschelte. Ich stopfte das Kündigungsschreiben zurück in die Hosentasche und nahm mir vor, es morgen nochmal zu versuchen, wenn die Edith bessere Laune hatte.
»Aha«, begrüßte die Edith den Gast. »Du hast vielleicht Nerven, hier aufzutauchen.«
»Einmal das Hirtenschnitzel mit Pommes«, sagte der Mann. »Und für heute Nacht ein Zimmer.«
Die Edith verschränkte ihre dürren Arme vor der Kittelschürze. »Die Fritteuse ist schon aus.«
»Dann halt mit Bratkartoffeln.«
»Gibt’s auch keine mehr.«
»Dann erst mal ein Bier.«
Die Edith nickte ihr Feldwebelnicken und kam zurück zur Theke.
»Michelle, bring dem Werner ein Bier.«
Ich zapfte einen Krug und dann noch vier weitere für den Stammtisch, weil der Bernd gerade eine Partie verloren hatte und die nächste Runde ausgab. Anschließend ging ich zum Tisch bei der Garderobe, wo der ungebetene Gast noch immer über der Karte brütete. Mit seinem grauen Haarkranz und dem Anflug von Segelohren kam er mir vage bekannt vor. Als ich das Bier abstellte, fiel mir ein, dass er im Nachbarort in der Sparkasse arbeitete: der gutmütige Herr Spahn, der für meine Kinder immer ein paar bunte Brausebonbons aus der Schublade zauberte. Hier in der Gaststätte hatte ich ihn allerdings noch nie gesehen, auch wenn die Edith und er sich offenbar kannten.
»Das halbe Hähnchen, geht das wenigstens?«
»Da muss ich die Chefin fragen.«
»Nee!«, brüllte die Edith aus der Küche.
Ich rollte mit den Augen, um mich für den barschen Ton zu entschuldigen. Normalerweise klebten die Blicke der älteren Herren an meinem Ausschnitt, aber der Werner blätterte nur müde durch die laminierten Seiten der Speisekarte.
»Dann nehm ich einfach die Vesperplatte.«
Die Edith marschierte in die Stube und ließ ihren Putzeimer auf die Fliesen scheppern. »Für dich schneiden wir keinen frischen Laib Brot mehr an. Morgen ist Ruhetag und danach können wir’s dann wegwerfen.«
Nun stieg dem Werner doch ein bisschen Farbe in die Wangen. »In der Karte steht: ›Warme Küche bis 24 Uhr‹. Es ist noch nicht mal dreiviertel zwölf.«
Die Edith baute ihre verhutzelten einssechzig vor dem Tisch auf. »Geh woandershin, wenn’s dir hier nicht passt.«
»Mutter, reg dich ab«, mischte sich der Bernd ein, dem gemeinhin vieles egal war, aber offensichtlich nicht, dass die Edith im Begriff war, einen zahlenden Gast zu vergrämen. Und dann auch noch einen mit Übernachtung. »Irgendwas wird ja wohl im Haus sein.«
»Im Kühlraum steht noch ein Rest Hochzeitssuppe«, rutschte es mir raus. »Von der Gesellschaft heute Mittag.«
Die Edith durchbohrte mich mit ihrem Giftblick. »Die Suppe wird morgen abgeholt. Die ist schließlich bezahlt.«
»Du bringst dem Werner sofort einen Teller Suppe«, röhrte der Bernd, während seine Schafkopfkumpanen in ihre Bierkrüge feixten. »Ende der Diskussion. Der Wirt bin immer noch ich.«
»Schöner Wirt bist du«, zischte die Edith und trollte sich Richtung Küche.
Ich schlich ihr hinterher, um mir meine Standpauke abzuholen, aber drinnen werkelte die Edith still und verkniffen vor sich hin. Sie goss ein paar Schöpfer Suppe in einen kleinen Topf, ließ alles auf dem Herd aufkochen, füllte die Brühe in eine geblümte Bouillonschüssel und drapierte ein Blättchen Petersilie obendrauf. Anschließend beugte sie sich über das Gedeck, räusperte sich aus tiefster Seele und ließ einen gelblichen, schleimigen Spuckefaden in die Suppe tropfen.
»Ich bring es ihm selbst«, wies sie meine ausgestreckten Hände zurück und verschwand durch die Schwingtür in den Schankraum.
Ich schrubbte den Herd, räumte die Spülmaschine aus, polierte Besteck und Gläser, und wünschte mir, dass die Schicht bald um wäre und dass die Kinder schliefen, wenn ich nach Hause kam. Kurz vor Feierabend brachte ich dem Werner seinen Zimmerschlüssel an den Tisch und räumte das benutzte Geschirr ab. Er hatte den Bierkrug leergetrunken und auch die Hochzeitssuppe restlos ausgelöffelt.
Wie es weitergeht, erfährst du hier.
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